Broadway Melody Of 1974 |
Anmerkungen 1-15; B1-B6 öffnen
Los geht´s mit einem Doppeldecker: Broadway Melody Of 1974
Dieser Satz stammt aus dem Begleittext zu Broadway Melody Of 1974. Chiffren Die Zahlen zwei und drei tauchen in der Lamb in verschiedenen Formen immer wieder auf und sind ein fester Bestandteil in Gabriels Methodik, den Text zu einer Aussage zu formen. Dies trifft im hohen Maße gerade auf Broadway Melody Of 1974 zu, sinniger Weise das zweite Musikstück diesen Titels nach The Broadway Melody (1929). Die zwei verbirgt sich allgemein hinter Symmetrie, Polarisationen (Gegenüberstellung von Gegenteilen) und Vergleichen. Perspektiven Der Text enthält zwei grundlegende persönliche Perspektiven: Die des Rael und die des außenstehenden Erzählers (Peter Gabriel). Mit dem Leser des Textes kommt eine dritte persönliche Perspektive hinzu. Peter Gabriel ist der, der weiss wo es lang geht, der Denker. Er führt Rael durch die Geschichte. Rael selbst legt mehr Wert auf „Action", er folgt seinem Instinkt . So schlittert er buchstäblich durch eine Art Alptraum. Am Ende geht es für ihn gleichwohl gut aus. Der Leser kann sich die Geschichte auf sein eigenes Format zurecht assoziieren, sich seinen Teil bei all dem denken oder sich auch selbst in dieser Geschichte wieder finden. Aus Dave Bowler/ Bryan Dray: Genesis - Die Biografie (S. 117): "Und wenn wir dem, was er Gallo erzählte glauben können, dann verhielt es sich so, dass Peter bewusst über das Unbewusste schrieb und dabei unbewusst über sich selbst." Was hat das jetzt mit dem Doppeldecker zu tun? Der Titel des Songs verrät uns, dass wir uns im Jahr 1974 befinden. Der außenstehende Erzähler, also Peter Gabriel, führt uns dieses Jahrzehnt, in dem er seine Jugend durchlebt und das ihn wesentlich geprägt hat vor Augen: In der Dreier-Sequenz der erwähnten Musikstücke „In The Mood", „Blue Suede Shoes" und „Needles And Pins" zeichnet sich die Entwicklung der Jugendkultur ab (siehe Anmerkung 11 zur Übersetzung). Genesis war ein eindrucksvolles Produkt dieser Kultur. Darüber hinaus sehen wir hier eine höchst sensibele Periode der US-amerikanischen Geschichte, sowie (zum Teil mit leichter Zeitverzögerung) der restlichen westlichen Kulturen. Gabriel bringt zwar „Kritik" zum Ausdruck, die sich aber lediglich in einer zynischen Haltung äußert. An keiner Stelle interpretiert er seine Haltung. Er äußert direkt keinen eigenen Standpunkt. (Timothy Leary lässt grüßen: "Du sollst das Bewusstsein deines Nächsten nicht verändern.") Nimmt der Höhrer den Faden auf und beschäftigt sich eingehend mit dem genannten Inhalt (bzw. den genannten Personen) „spürt er Gabriels altem Leben nach". Die genannte Periode rollt sich sehr plastisch auf und befähigt den Hörer dazu, sich sein eigenes Bild dieser Zeit und den Veränderungen, die sie brachte zu bilden. Es
kann davon ausgegangen werden, dass Rael, die imaginäre Figur, diese
Veränderungen im Gegensatz zu Gabriel, wenn überhaupt, weit aus weniger
bewusst wahrgenommen hat. Das ihm hier jeglicher Bezug fehlt, drückt sich auch darin aus, dass „Broadway Melody Of 1974" sich mit seinem eigenartigen Text nicht in den Fluss der gesamten Geschichte einfügen will, wenngleich es musikalisch fest eingebunden ist. Und obwohl sich hier ein ganzes Jahrzehnt in einer Hand voll Zeilen zusammenballt, erweckt es aus Raels Perspektive den Anschein einer Momentaufnahme, eines Eindrucks. Dennoch, wenn auch an den Rand gedrückt, lebt Rael in dieser Gesellschaft, die von dieser Zeit geprägt wurde und aus einem bestimmten Grund (oder weil Gabriel es so will) trifft ihn diese Atmosphäre der Vergangenheit und der Veränderung plötzlich und scheinbar unerwartet mit einer zerschmetternden Wucht irgendwann im Jahr 1974. Unter anderen Voraussetzungen hätte es vielleicht den Namen Erleuchtung verdient. So liest es sich im Begleittext: The moment of impact bursts through the silence and in a roar of sound, the final second is prolonged in a world of echoes as if the concrete and clay of Broadway itself was reliving its memories. Der Moment des Einschlages donnert durch die Stille, und in tosendem Lärm dehnt sich die letzte Sekunde in einer Welt voller Echo, als ob Zement und Mörtel des Broadways selbst ihrer Erinnerungen noch einmal durchlebten. So kreuzen sich die Perspektiven des Peter Gabriels und des Raels auf verschiedenen Ebenen in „Broadway Melody Of 1974". Bei Peter Gabriel als Teil einer bewusst wahrgenommene Ära, die bereits zur Neige gegangen ist und bei Rael als unbewusst wahrgenommenen Eindruck einer für ihn nicht schlüssigen Welt. Ein Doppeldecker eben, der beginnend bei „Broadway Melody", das die 60er Jahre skizziert einen Looping zieht: in den Anfang des Begleittextes mündet, in dem Peter Gabriel Rael vorstellt und über „Lamb Lies Down On Broadway" und „Fly On A Windshield" wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück findet, um Rael in zwei Teile zu „zerbrechen", in Rael und John. Die drei Songs, durch diese Schleife miteinander verbunden, sind ebenfalls an den Ort „Broadway" gebunden und bilden auch dadurch eine kleine, feste Einheit. Der Text
von „Broadway Melody Of 1974" ist, zugegeben gut verpackt, äußerst
zynisch. Die ("traditionelle") Musik- und Filmkultur wird geplättet,
wie aus den Anmerkungen schon zu entnehmen, wobei immer im Auge zu
behalten ist, dass es sich hier, aufgrund der fehlenden geschichtlichen
Tiefe der jungen Nation, um "die" Kultur schlechthin handelt. Ob nun namentlich genannt oder nicht, werden alle in einem zumeist kurzen, zynischen Satz charakterisiert. Um noch mal auf den Zusammenhang der genannten Personen zurück zu kommen: Jugend- und Unterhaltungskultur Ein Beispiel, die Dreier-Sequenz der Musiktitel wird in den Anmerkungen zur Übersetzung erläutert (Nr. 11). Ausserdem bilden sie in der Verkörperung der Jugendkultur einen Gegenpol zu den Everglades/ Evergreens (Anmerk. 5), die durch die drei Größen der inzwischen etwas angestaubten Unterhaltungsindustrie Bing Crosby, Rogers/Astaire und Groucho bebeispielt werden (Anmerk. B1, B5, 9). Drei Leitfiguren werden in kurzer Aufeinanderfolge genannt, die auf die Veränderungen wie Katalysatoren wirkten: Kennedy, M.L. King und Leary. Ein Politiker, ein Theologe und ein Universitäts-Professor: Autoritäten stellvertretend für Politik, Religion und Bildung. (siehe Question authority, Anmerkung B3 des Begleittextes). Der Zynismus tritt hier, besonders bei Kennedy und Leary, am deutlichsten zu Tage (siehe Anmerkungen zum Begleittext B2 bis B4), jedoch schützt er diese, wie ein Schild während er vor allem bei den Personen des Liedtextes subtiler ausfällt und in der Regel die genannten Personen eher wie eine Speerspitze trifft. Der Cowboy, der Schnapsbrenner und der Pfandleiher, die Nationalisten, gehören zu denen, die von der Entwicklung der 60er unberührt bleiben und wohl heute noch ihren Patriotismus mit alten Wildwest-Filmen nähren.
(siehe auch Anmerkung B4!) Der barbrüstige Cowboy verkörpert den Attentäter, der mit 2 Treffern (offizielle Version 1974) Kennedy bezwingt. (Der dreifache Champion: Kennedy, der Schirmherr über die drei staatlichen Gewalten: Legislative, Exekutive und Judikative, die hier kaltschnäuzig aus gehebelt werden.) Mit seiner Ermordung wird eine Weiterführung seiner unkonventionellen Politik vereitelt. Nach Kennedys Tod kehrt die Politik zur „Normalität" zurück, was auch bedeutet, dass der Vietnamkrieg, den Kennedy beenden wollte, erst richtig eskaliert. Der „Cowboy" (der „Wilde Westen") ist eine Figur, auf die Marshall McLuhan (Anmerk. 7) wiederholt, auch indirekt, zurück kommt, um auszudrücken, dass die Gesellschaft den Umgang mit aktuellen Herausforderungen (hier: Kennedys Politik und Gesellschaftswandel) mangels ausreichender Reflexionsmöglichkeit (bzw. -fähigkeit) in antike Denkmuster zwängt, die den Herausforderungen nicht angemessen sind, was auf den beschriebenen Mord unter der angedeuteten Voraussetzung einer Verschwörung mit Sicherheit zutreffen würde. Beobachtung und Reflexion Beobachter der Gesellschaft: der Journalist (orig. „newsman":auch Zeitungsverkäufer), Lenny Bruce und Marshall McLuhan. Der Journalist bleibt in den 60ern kraft- und namenlos. Erst mit der Aufdeckung der Watergate-Affäre ab 1972 hatten sie sich ihre Namen verdient. So gesellt sich als Spiegel der Gesellschaft Caryl Cessman neben Bruce und McLuhan. Bruce (Gefängnis für Schimpfworte - „Wordcrime") und Chessman (Tod für sexuelle Nötigung) verdeutlichen die Diskrepanzen in einem Staat der sich selbst als freiheitlich betrachtet. So wurde Chessmans außergewöhnlicher Intellekt, der ihn zwölf Jahre lang vor der Gaskammer bewahrte argwöhnisch beäugt und als tückisches Instrument zur nicht vorgesehenen Ausnutzung des juristischen Systems angesehen. McLuhan´s Medientheorien bieten eine Erklärung für gesellschaftliche Veränderungen. Danach löst die Einführung neuer Medien (incl. Technik) zunächst Veränderungen in der Organisation der Gesellschaft aus. Die trägeren Denkmuster der Vergangenheit spiegeln sich in einer umgestalteten Gegenwart wieder und führen zur gesellschaftlichen Kriese, die eine Anpassung, sprich gesellschaftliche Veränderung zwangsläufig nach sich zieht. Allgemein kann man dies als eine Definition von Fortschritt betrachten. (Weniger angenehm wäre dabei die grobe Folgerung, dass die Nutzbar machen der Elektrizität es vermag eine Kriese auszulösen, die in zwei Weltkriegen mündet.) Dass die Gesellschaft der Realität fortwährend hinterher hinkt, bezeichnet McLuhan als Rückspiegel-Denken. In Broadway Melodie of 1974 wird aus McLuhans Rückspiegel eine riesige Leinwand, die sich bedrohlich über Rael aufbaut, ihn einholt, ihn zur Handlungsunfähigkeit zwingt und droht, ihn zu vereinnahmen. Rael flüchtet in den Kokon, in sein inneres selbst, während er einen Teil von sich, John, zurück lässt. John ist die Peripherie zur Außenwelt, der Teil Raels, der mit der Gesellschaft interagiert. Das Abbild Raels, das die Gesellschaft und Rael selbst vor sich sieht. Newsman stands limp as a whimper as audience and event are locked as one. Der Zeitungsverkäufer (Journalist) hängt schlaff in den Seilen, als Publikum und Ereignis sich zusammenschließen. Die Öffentlichkeit bleibt ein Teil dieser Leinwand, zusammen mit John in ihr eingeschlossen, während Rael sich von ihr entfernt. Die Leute sind der Vergangenheit zugewandt und verhaftet, von ihr geprägt. Das Aktuelle reicht nicht an ihr Bewusstsein. Die Neuigkeiten des Zeitungsverkäufers/ Journalisten sind nicht gefragt.
Zitat von Peter Gabriel: "Wir haben immer in politischer Ideologie nach Änderungen in unserer Gesellschaft gesucht. Es kann gut sein, dass Technologie diese Arbeit weitaus effektiver erledigt. Die Macht dem Volk, genau jetzt." (Nicht zeitlich bestimmt) (Original engl.: "We have always looked to political ideology to bring about change in our society. It may well be that technology does this job much more effectively. Power to the people right on.") Quelle: wikiquote 1998 erhielt Peter Gabriel vom „Marshall McLuhan Center on Global Communications", die innovative, medienorientierte Berufslehrer und Lehrkonzepte auszeichnet eine Sonderauszeichnung, den "Marshall McLuhan Global Village Award ". hierzu heißt es : ("Während des Interactiven Multimedia-Festivals 1998 in Los Angeles verlieh das Marshall-McLuhan-Center dem Musiker und Künstler Peter Gabriel den 'Marshall McLuhan Global Village Award'. Diese Auszeichnung erhielt Peter Gabriel für seine Arbeit mit der WOMAD-Stiftung, die "die Förderung, Fortführung und Weiterentwicklung der Aufklärung über Kulturen der Welt und die multikulturelle Erziehung vorantreibt." Die WOMAD-Stiftung unterhält bildende Arbeitskreise in Schulen, Colleges und Gemeinde-Zentren im ganzen Land, die den Grundstein für ein Anteil nehmendes und "fließendes" Verständnis der Welt jenseits des Klassenzimmers legen.; Übers.:UK) Zu McLuhan an anderer Stelle mehr. Aufeinander prallen und Scheitern Bruce
und Chessman prallen auf den Zeitgeist der alten reaktionären Ordnung.
Hughes (der Held) in entgegengesetztem Fall auf den neuen Zeitgeist
gleicher maßen. Bruce
starb an einer Überdosis Heroin, Chessman wurde hingerichtet und Hughes
litt an wachsenden Phobien, wurde alkohol- und morphiumsüchtig und
verwahrloste. Bruce,
Chessman und auch Hughes sind Beispiele, die zeigen, wie man in eine
ausweglose Situation „reinschlittern" (eine Frage von falsch
eingeschätzten Entscheidungen?) kann, die man eingangs nie für möglich
gehalten hätte. Auf jeden Fall eine Warnung an Rael, vielleicht
Gabriels Befürchtungen in Verbindung mit steigendem Ruhm dem Sog der
Musikindustrie fortschreitend unentrinnbar und -bestimmbar ausgesetzt
zu werden. Lenny Bruce (Anmerk. 6+6a) declares a truce/ truth and plays his other hand. Zwei starke Begriffe, gut verpackt und dennoch äußerst zynisch. Bruce fing mit seinen "dreckigen", die Konversionen der Gesellschaft auf den Arm nehmenden Witzen an, weil er dadurch aufsehen erregen konnte und erfolgreicher war. Anfang 1961 befand er sich auf dem Höhepunkt seiner Kariere, die dann im Herbst plötzlich einbrach, da er von nun an ständig wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und geäußerten Obszönitäten angezeigt wurde. Die Clubs, die ebenfalls mit hohen Geldstrafen belegt wurden, wollten ihn nicht mehr engagieren. Durch die folgenden Auftrittsverbote und Inhaftierungen wurde er stark beschnitten, weigerte sich jedoch, sein Programm zu ändern, das ohnehin auf Bruces natürlicher und assoziativer Spontanität basierte. Einen "Waffenstillstand" gab es nicht. Fortan forderte Bruce statt dessen sein Recht auf freie Meinungsäußerung ein. Die Auseinandersetzung wandelte sich zu einem persönlichen Kampf. Er sah sich selbst als Opfer einer Verschwörung, die ihn auf diese Weise nicht zuletzt auch in den finanziellen Ruin trieb. Seine Art der Angriffe imponierte vielen Leuten und zeigte ihnen, was man so alles nicht sagen darf, wenn man es denn nun wolle. Aber keiner seiner Bewunderer ahmte ihn nach. Andere trugen ihre Kritik vorsichtiger oder idealistischer vor. Dazu gehörte z.B. auch die Friedensbewegung. „Peace and love" wurde als naiv abgetan. Joan Baez (die Unschuld vom Lande), Simon & Garfunkel oder Donovan sangen Friede, Freude, Eierkuchen. All you need is love. Wesentlich jedoch war, dass sie auf diese Weise eine ganze Generation auf die Beine bringen konnten, die die Grundfeste der Gesellschaft erschütterte ohne dabei selbst im Knast zu landen. Nächstenliebe und Gewaltfreiheit sind in den christlichen Gesellschaften tief verwurzelte Ideale, die ansprechen und sehr viel weniger angreifbar sind als das Herumstochern in Tabus. Auch M.L. King nutzte diese Überzeugungen für die Bürgerrechtsbewegung, die im Übrigen weit aus weniger naiv wirkte. Bruce war eher eine tragische als eine Leitfigur. Er hatte nicht die Absicht, die Menschen zu mobilisieren. Er hatte keine Vision wie z.B. M.L. King. Er war einfach nur gefrustet. Er ist an diesem, seinem persönlichen Kampf kaputt gegangen, hat aber damit die Menschen aufgerüttelt und stellvertretend gezeigt, wo die Grenzen der freiheitlichen Gesellschaft liegen. 2003 wurde Bruce vom amtierenden New Yorker Bürgermeister bezüglich aller Anklagen von Obszönität posthum rehabilitiert. Paul Simon: "I learned the truth from Lenny Bruce. " (siehe Anmerkungen: 6a). Lenny Bruce: "Let me tell you the truth. The truth is: what is. And what should be, is a fantasy - a teribble, teribble lie that someone gave the people long ago."
Das Einsetzen von innocent führt zu einem Paradoxon. He knows, (in a scent) innocent, you can bottle all you made. Unschuldig trotz Tat geht aber nicht. Also müsste der Satz in... „Er weiß, für unschuldig gehalten, kannst du alles, was du getan hast, einkorken." ... umgedeutet werden, um das Paradoxon aufzuheben. Die
Verwendung des Begriffs innocent nagelt Chessman hier auf diese
speziellen Anschuldigungen fest, da unterstellt wird, dass er versucht,
unschuldig zu wirken. Eine kühne Aussage, zumal der springende Punkt bei Chessman nicht die Schuldfrage ist, sondern ganz unabhängig davon, die Frage nach dem Strafmaß und der Dehnung des Rechts. Die Forderung der Öffentlichkeit, Chessman nach 12 Jahren Todeszelle zu begnadigen und frei zu lassen stützte sich tatsächlich nicht auf die Überzeugung, er sei unschuldig sondern darauf, dass die bereits verbüßte Strafe ausreichend für die ihm vorgeworfenen Verbrechen sei. In Verbindung mit "in a scent" ergibt sich eine ganz andere Aussage. Falls es nicht ganz klar wird: Chessman war allgemein kein Unschuldslamm. Egal was er in seinem Leben ausgefressen hat, in der Gaskammer wird es bis ins kleinste Detail in sein Bewusstsein drängen. Ob eine derartige Strafe gerechtfertigt ist, steht eigentlich nicht zur Debatte. Chessman weiß, warum er hier gelandet ist, selbst wenn er genau die Dinge, die ihm das Todesurteil einbringen nicht getan hat. Es zeigt sich die Spitze der gesellschaftlichen Atmosphäre seiner Zeit. Das ist sein wahrer Strick und so etwa die Aussage des Originalsatzes. So heißt es auch: "He knows, in a scent YOU CAN bottle all YOU MADE."(wobei "you" ebenso gut "ihr" als auch „du" bedeutet) und nicht He knows, in a scent HE CAN bottle, all HE (has) MADE. Dieser Satz muss also nicht zwingend nur auf ihn bezogen werden. So gesehen wandelt sich dieser Satz in eine Anklage gegenüber den gesellschaftlichen Normen und der Absicht das Unerwünschte, einfach zu beseitigen. Sein
Intellekt machte seine Situation eher aussichtsloser, führte aber zu
der Aufmerksamkeit, die er erzielen konnte, die zu einer
Sensibilisierung der Gesellschaft führte und seinen Fall zu einem
Politikum anwachsen ließ, in dem sich Staat und Bevölkerung an
gegensätzlichen Ansichten über die Todesstrafe rieben. Das wachsende Aufsehen in der Öffentlichkeit bewog die Regierung zunächst zu Zugeständnissen. Chessman wurde die Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslängliche Haft angeboten. Er lehnte dies schroff ab, was einem Affront gleichkam. Die
Vollstreckung des Urteils im Jahr 1960 wurde so auch zu einer
Demonstration der Macht des Staates und sollte bei weitem nicht die
erste und einfachste dieser Art in der Auseinandersetzung mit
widerstrebenden Ansichten innerhalb der Bevölkerung in diesem Jahrzehnt
bleiben. Mit Chessmans Geschichte läßt sich gut verdeutlichen, in welche Richtung sich Rael bewegt. Sein Auftauchen in LLDOB auf der "Oberfläche" zeigt, dass es hier, in der normalen Welt, eigentlich keinen Platz mehr für ihn gibt. Der Taxifahrer hupt ihn an, er kriegt sich mit den Nutten in die Haare und wird von einem Polizisten beäugt, schleicht sich durch die Gegend: „Something inside me has just begun, lord knows what I have done." Eine Vorahnung. Das Wissen, dass es ungemütlich und eng für ihn geworden ist. Er braucht einen Ausweg.
Howard Houges
(Anmerk. 15) ist eine Verkörperung des amerikanischen Traums,
Heldenmaterial. Reich geboren, seine Kindheitsträume verwirklicht,
nebenher ein Imperium aufgebaut, persönlich aber abgestürzt, obwohl er
doch anscheinend alles hatte. Ob neben den ´Blue Suede Shoes´ die
Winston Zigaretten* eine besondere Bedeutung erlangen, weiß ich nicht
genau. Er ist geistig abgedreht, ein Fall für den Cuckoo Cocoon, aus
dem er nicht mehr heraus findet. Eine Warnung dafür, dass jeder für
sein geistiges und seelische Wohl selbst die Verantwortung trägt.
Da kommt noch was Nach der Erwähnung von Leonard Cohens „Suzanne" (Anmerk. 2) in „The Lamb Lies Down On Broadway", wird auch hier wieder ganz verhalten das zweite, es könnte auch gesagt werden: das sehr tief gelegene Hauptthema der Geschichte angetippt: Die Auseinandersetzung mit der Rolle der Geschlechter und ihrer Beziehung zueinander, die im weiteren Verlauf der Geschichte zunehmend an Relevanz gewinnt. In Broadway Melody of 1974 wird sie nur unterschwellig und nicht direkt angesprochen. The cheerleader waves her cyanide wand, there's a smell of Die Cherleaderin schwingt ihren Zyanid-Zauberstab, man riecht den Duft von Caryl Chessman schnuppert die Luft und führt die Parade an, er weiß, dass Du in einem Duft alles getane einfangen kannst. Da ist Howard Hughes in "Blue Suede Shoes", lächelt die Majoretten an und raucht Winston-Zigaretten.
And as the song and dance begins, the children play at home with needles; 'needles and pins´. Und als das Lied und der Tanz beginnen, spielen die Kinder zu Hause mit Nadeln; „Needles And Pins". Es ist an dieser Stelle eigentlich noch zu früh die Tiefe der Bedeutung dieses hoch konzentrierten Abschnitts zu erfassen, der besser zu verstehen ist, wenn man sich über die Aussage von „Carpet Crawl" im Klaren geworden ist. Chessman und Hughes sind vor allem in ihrem gesellschaftlichen Status so gegensätzlich wie jemand es nur sein kann. Und genauso gegensätzlich erscheint ihr Verhältnis zu Frauen. (Hughes, dem die Frauen zu Füßen lagen, ist nie eine dauerhafte, feste Bindung eingegangen und hatte keine Kinder.) Ich nehme jetzt einfach Mal vorweg, dass ein reelles Verhältnis dieser beiden Männer zu Frauen gar nicht bestand, zumindest auf einer menschlichen bzw. persönlichen Ebene. Das Verhältnis wird hier allein durch gesellschaftliche Normen in Verbindung mit dem gesellschaftlichen Status kreiert. Es ist plakativ, im Grunde genommen entspricht es einem Klischee. Beide fallen diesem Klischee zum Opfer. Während Chessman zwangsweise vergiftet wird, übernimmt Hughes dies selbst durch Drogenkonsum und der Einbildung heraus, sich mit irgend welchen Erregen infizieren und daran sterben zu können. Während dieses Kapitel zu Ende geht, wächst eine neue Generation heran, die sich nun im Licht der sexuellen Revolution mit der Beziehung der Geschlechter zueinander auseinander zu setzen hat: (Anmerk. 11a) Needles and pins Auf heißen Kohlen du sitzt,
PS.: In diesem Artikel aus dem Jahr 2011, den ich nun fand, wird diese "Synthese" ebenfalls thematisiert (wenn auch etwas langatmig): From Psychedelics to Cybernetics.(deutsch) Fast am Ende heißt es dort: "Ein Drogentrip macht das Imaginäre zum Raum einer Reise, aber erst durch
ein Symbolisches kann diese Reise beschreibbar sein. Deshalb sind die
Übersetzungen so wichtig, die im Anschluss an einen Trip die Erfahrung
kommunizierbar machen." Womit
ich nicht sagen will, dass sich Peter Gabriel einen Trip nach dem
anderen eingeworfen hat. Es gibt auch andere Möglichkeiten, wie
ebenfalls im Artikel erläutert wird, sich den "Raum einer Reise" zu
schaffen. Immerhin gehört das zum täglichen Brot eines Musikers/
Texters. Von Bedeutung ist hier, dass Gabriel offensichtlich das
"symbolische" Rüstzeug besitzt, diese Reise "beschreibbar" und
"Erfahrung kommunizierbar" zu machen. Wie übrigens die anderen Musiker
dies genauso gut in den Kompositionen zeigen. Was Mitte der 70er Jahre
noch mittels Worten, Tönen, Bilder und Bühnenshow auf eine
Präsentation begrenzt bleiben musste, könnte heute virtuell für jeden
weiter zugänglich gemacht werden. (Professionell noch sehr viel weiter,
wie es diese HP im begrenzten Rahmen kann : ) Und genau das hat Peter
Gabriel später mit seinen CD-Rom-Projekten Explora und Eve zumindest angetestet. Der
inhaltliche Kern, der in "Broadway Melody Of 1974" am deutlichsten zum
Vorschein tritt: Gabriel ist der Ansicht, dass die Gesellschaft
durch Medien und Machtzentren permanent manipuliert wird. Die
Jugendkultur in der Form einer Massenbewegung war eine Erscheinung, die
sowohl aus dieser Manipulation als eine Art „Nebenprodukt" mit
entstand, um sich gegen diese gleichermaßen wieder aufzulehnen. Es
entstand eine Gegenkultur, die ihre eigenen Autoritäten schuf, die aber
fortlaufend kommerzialiesiert und wieder vereinnahmt wurde und wird. Diese beiden Punkte zusammen genommen und in Anbetracht des geschichtlichen Rückblicks, der hier geboten wird, kann "Broadway Melody of 1974" als eine Art Vorwort oder Einführung der Geschichte aufgefasst werden. Dass sie nicht das erste Stück des Albums bildet, scheint so gesehen erstaunlich, kann aber als Anleihe auf die Erzählweise aus Literatur (z. B. Krimi) und eher sogar der Filmkunst, in der Geschichten selten in streng chronologischer Folge und bisweilen wie hier in überlagernden Perspektiven erzählt werden, betrachtet werden. Tatsächlich wird der Zugang zur Geschichte aus drei Richtungen angesteuert. Neben Broadway Melody gehört natürlich die Szenerie von "The Lamb Lies Down On Broadway" dazu als auch die Vorstellung Raels im erste Abschnitt des Begleittextes. Auch hier ist McLuhan der Inspirateur: Sprache (als Inhalt der Schrift!) scheint die Grenze der in ihr möglichen Komplexitätsreduktion erreicht zu haben - Schreiben müsste wie Kino aussehen. Quelle: Daniela Kloock, Angela Spahr: Magische Kanäle.
Marshall McLuhan. In: Medientheorien. Eine Einführung. UTB für
Wissenschaft. Wilhelm Fink Verlag GmbH & Co. KG, München 1997, S.
39ff. (Inaktiv!) Es ist schwer zu glauben, dass dies alles einfach unreflektiert aus Peter Gabriel sprudelte. Das Gegenteil ist plausibler. Wahrscheinlich war es eher ein interaktiver Prozess, in dem er herausfand, warum er mit der Band nicht mehr zu Rande kam. Im Grunde genommen eine Erklärung und Vorwegnahme von Gabriels Trennung von Genesis. Gabriel
selbst hat einen autobiografischen Bezug jahrelang abgestritten, bis er
irgendwann die Möglichkeit einräumte, das da etwas dran sein könnte, es
ihm aber nicht bewusst war, so wie im eingehenden Zitat wiedergegeben.
Quelle: hr3 popdollmetscher Fazit Insgesamt zeigt „Broadway Melody Of 1974" eine schier unglaubliche Dichte: Einer ausladenden Gesellschaftskritik der (1974) jüngsten (nicht nur) amerikanischen Geschichte. Wesentliche Grundüberzeugungen von Gabriel und die damit verbundenen Widersprüche, die ihn bewegten. Eine Aufforderung, ihm in diese (historische) Geschichte zu folgen und dabei eigene Standpunkte zu entwickeln. Das Bekenntnis ein aktiver Bestandteil der Jugendkultur, als aber auch die Einsicht mit dem Ende dieser Gegenkultur in eine Maschinerie geraten zu sein. Es
ergeben sich über die Erwähnung McLuhans und
Learys mehrere Andeutungen zur Art und zum Verständnis des
vorliegenden Textes.
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